Nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO liegt eine Steuerhinterziehung auch dann vor, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden können.
Dies soll nach gefestigter Rechtsprechung des BGH nicht gelten, wenn ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den verschwiegenen steuererhöhenden und den ebenfalls verschwiegenen steuermindernden Umständen besteht. Da bei der Umsatzsteuerhinterziehung kein innerer Zusammenhang zwischen der auf die eigenen Umsätze entfallenden Umsatzsteuer und den abziehbaren Vorsteuerbeträgen bestehe, versagte die Rechtsprechung jahrzehntelang unter Bezugnahme auf dieses sog. Kompensationsverbot die Berücksichtigung gegebenenfalls gezahlter Vorsteuern.
Mit seiner Entscheidung hat sich nunmehr der Bundesgerichtshof (BGH v. 13.09.2018, 1 StR 642/17) im Rahmen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Linie des BFH angeschlossen. Danach sind dem Täter die Steuervorteile in Form der Vorsteuerbeträge anzurechnen, wenn diese mit den verschleierten steuererhöhenden Tatsachen in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und dem Täter ohne weiteres von Rechts wegen zugestanden hätten, da in diesem Fall keine für eine Strafbarkeit ausreichende Gefährdung des Steueranspruchs gegeben sei. Fraglich ist, inwieweit diese Rechtsprechung auch auf andere Konstellationen übertragen werden kann. Auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung durch aktives Tun zieht die Angabe der zu niedrigen Ausgangsumsätze regelmäßig die Nichtangabe der damit in unmittelbaren Zusammenhang stehenden Eingangsumsätze nach sich. Da der Anspruch auf die Vorsteuerbeträge bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dem Grunde und der Höhe nach bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs besteht, ist auch eine Geltendmachung in einem späteren Besteuerungszeitraum ausgeschlossen. Soweit der Unternehmer nicht ausnahmsweise die Absicht hat, die Eingangsumsätze für Ausgangsumsätze zu verwenden, die den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG ausschließen, dürfte damit auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung durch aktives Tun keine reale Gefahr für den Steueranspruch bestehen, so dass eine entsprechende Anwendung der vorgenannten BGH-Rechtsprechung auf diese Fälle in Betracht kommt.
In den Fällen des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG) und des Reverse-Charge-Verfahrens (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG) ist eine Steuerhinterziehung ebenfalls grundsätzlich ausgeschlossen, weil die geschuldete Umsatzsteuer unmittelbar als Vorsteuer abzugsfähig ist und damit keine Zahllast entsteht, selbst wenn die entsprechende Anmeldung unterbleibt, unvollständig oder fehlerhaft ist. Demgegenüber kommt in den übrigen Fällen des § 15 UStG (Einfuhrumsatzsteuer, Auslagerer) zumindest eine abstrakte Gefährdung des Steueranspruchs in Betracht, so dass hier für die Anwendung des Kompensationsverbotes wohl jeweils eine Einzelfallbetrachtung notwendig sein wird.
Praxistipp
Die neue BGH-Rechtsprechung sollte in geeigneten Fällen jedenfalls Grund und Anlass für einen Diskurs mit dem Finanzamt darstellen.