2026 stehen wieder die regulären Betriebsratswahlen an. Und in diesem Zusammenhang stellen sich regelmäßig diverse Fragen zur korrekten Wahldurchführung. Denn anderenfalls droht die erfolgreiche Anfechtung der Betriebsratswahl.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am 22.01.2025 unter Az. 7 ABR 23/23 über die Anfechtbarkeit einer als Briefwahl durchgeführten Betriebsratswahl zu entscheiden. Es kam zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmer im Hauptbetrieb in Präsenz zu wählen haben und der Wahlvorstand den Begriff des Hauptbetriebs verkannt hatte, als er sämtliche Arbeitnehmer des Betriebs zur Briefwahl einlud.
In dem zugrunde liegenden Fall war für die Arbeitgeberin, eine Lebensmittel-Discounterin, eine vom Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) abweichende Betriebsratsstruktur gem. § 3 BetrVG vereinbart worden. Der Wahlvorstand erließ bei der Betriebsratswahl 2022 für seinen aus 467 Filialen bestehenden Betriebsratsbezirk ein Wahlausschreiben, wonach für alle ca. 7.700 Wahlberechtigten die schriftliche Stimmabgabe per Briefwahl beschlossen wurde. Dabei waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass es für den Betriebsratsbezirk aufgrund des Filialsystems der Arbeitgeberin keinen sog. Hauptbetrieb gibt.
Nach Durchführung der Wahl und anschließender Wahlanfechtung gem. § 19 BetrVG war in drei Instanzen u.a. streitig, ob die Wahl als reine Briefwahl hätte durchgeführt werden dürfen.
Das BAG war der Auffassung:
Die Voraussetzungen einer Wahlanfechtung gem. § 19 Abs. 1 BetrVG lagen vor, nämlich ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens. Die Wahl hätte nicht als reine Betriebsratswahl durchgeführt werden dürfen, da kein Ausnahmetatbestand aus § 24 Wahlordnung (WO) vorliegt.
§ 24 Abs. 3 S. 1 WO erlaubt die Briefwahl dem klaren Wortlaut nach nur für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind. Insoweit besteht kein Ermessen des Wahlvorstands. Insbesondere stellt § 24 Abs. 3 WO dem Zweck nach keine Grundlage für die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für den gesamten Betrieb dar.
Das BAG konnte offenlassen, dass und ob ein Hauptbetrieb, dessen Vorliegen im zugrunde liegenden Fall von allen Beteiligten verneint worden war, vorlag:
Denn wenn ein Hauptbetrieb vorgelegen hätte, hätte gem. § 24 Abs. 3 WO für dessen Arbeitnehmer die Urnenwahl angeordnet werden müssen, weil die Voraussetzungen einer Briefwahl nicht vorlagen.
Aber selbst wenn es an einem Hauptbetrieb fehlte: Weil § 24 Abs. 3 WO die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für den gesamten Betrieb nicht als Rechtsfolge vorsieht, sondern nur für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, kann dieses Ergebnis nicht durch eine analoge Anwendung der Regelung herbeigeführt werden.
Der Zuordnungstarifvertrag über vom BetrVG abweichende Betriebsratsstrukturen gem. § 3 BetrVG stellte dem BAG nach keine Ermächtigungsgrundlage dar, da dieser keine Regelungen zur schriftlichen Stimmabgabe enthielt.
Das BAG ließ offen, ob den Tarifvertragsparteien nach § 3 Abs. 1 BetrVG überhaupt die Kompetenz eröffnet wäre, von § 24 WO abweichende Regelungen zu treffen oder im Rahmen einer Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a) BetrVG einen Betriebsteil zum Hauptbetrieb i.S.v. § 24 Abs. 3 WO zu bestimmen:
Das BetrVG sähe eine solche Regelungsbefugnis nicht ausdrücklich vor, wobei die vom Betriebsrat und von der Arbeitgeberin vorgebrachten praktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung einer Urnenwahl allerdings auf ein tatsächliches Bedürfnis für eine entsprechende Regelungskompetenz hinweisen mögen.
Das BetrVG ist immer noch „altmodisch“ und von dem Gedanken der Präsenz der Betriebsräte vor Ort sowie insoweit auch von Präsenz- bzw. Urnenwahl geprägt. Die in den meisten Unternehmen gelebte Kultur entspricht zwar schon lange nicht mehr dem Präsenzgedanken und „Vor Ort-Geschehen“, wie er dem BetrVG zugrunde liegt. Diese und überwiegend auch jegliche „Papierkultur“ sind weitestgehend abgeschafft. Das BetrVG spiegelt diese Unternehmenskultur aber nicht wieder.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht u.a. die Weiterentwicklung und Digitalisierung der betrieblichen Mitbestimmung vor und nennt etwa neben Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen auch die Option, die Betriebsratswahl online durchzuführen. Ob ein solches Gesetzesvorhaben vor der nächsten regulären Betriebsratswahl 2026 umgesetzt wird, ist allerdings höchst fraglich.
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